Nationale Identität und transnationale Einflüsse – Amerikanisierung, Europäisierung, Globalisierung in Frankreich nach dem Zweiten Weltkrieg

Nationale Identität und transnationale Einflüsse – Amerikanisierung, Europäisierung, Globalisierung in Frankreich nach dem Zweiten Weltkrieg

Organisatoren
Deutsches Historisches Institut Paris
Ort
Paris
Land
France
Vom - Bis
29.05.2006 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Birte Löschenkohl (Berlin), Andreas Roessner (Paris), Patricia Wiegmann (Erfurt)

„Amerikanisierung“, „Europäisierung“ und „Globalisierung“ sind seit einigen Jahren bevorzugte Interpretationsansätze zur Erforschung eines ideellen und materiellen Transfers sowie kultureller, politischer und sozio-ökonomischer Wandlungs- und Angleichungsprozesse im europäischen, transatlantischen und sogar globalen Rahmen insbesondere seit dem Zweiten Weltkrieg. Allerdings kennzeichnen diese unleugbaren transnationalen Einflüsse vielfältige Ambivalenzen, Begrenzungen und Brüche, wie die aktuelle Krise des EU-Verfassungsgebungsprozesses und die ungebrochene sozialintegrative Kraft von Nation und Nationalstaat eindrucksvoll belegen. Vor diesem Hintergrund diskutierten deutsche und französische Historiker, Kulturwissenschaftler und Politologen im Rahmen eines Ateliers des Deutschen Historischen Instituts Paris, das von der Fondation Robert Schuman und der Friedrich-Ebert-Stiftung unterstützt wurde, am 29. Mai 2006 über das Thema „Nationale Identität und transnationale Einflüsse. Amerikanisierung, Europäisierung, Globalisierung in Frankreich nach dem Zweiten Weltkrieg/Identité nationale et influences transnationales. Américanisation, européanisation, mondialisation – le cas de la France après la Seconde Guerre mondiale“. Die Konzeption von Reiner MARCOWITZ (DHI Paris) sah dabei vor, Empirie und Theorie miteinander zu verbinden: Ansatz, Tragfähigkeit und Anschlussfähigkeit der relevanten Forschungskonzepte sollten ebenso diskutiert werden wie die konkreten Auswirkungen der unterschiedlichen transnationalen Einflüsse auf einzelne Sektoren der französischen Politik und Gesellschaft.

In seinem Eröffnungsvortrag verdeutlichte MARCOWITZ Fragestellung und Relevanz der Konferenz: Unzweifelhaft habe es in der westlichen Hemisphäre nach 1945 eine immer stärkere ideelle und materielle Homogenisierung gegeben. Umstritten seien heute nur ihre genaue Umschreibung und ihre wissenschaftliche Erforschung. Mehrere Konzepte konkurrierten um die Deutungshoheit: „Amerikanisierung“ – „Westernisierung“; „Europäisierung“ - „europäische Identität“; „Globalisierung“. MARCOWITZ plädierte nicht nur dafür, diese bisher weitgehend separierten Ansätze mehr als bisher zu kombinieren und dabei auch stärker politikgeschichtliche, sozialhistorische und kultur- bzw. mentalitätsgeschichtliche Ansätze zu verbinden, sondern ebenso dem konfliktreichen Verhältnis von hergebrachter nationaler Identität und neuen Transnationalisierungsprozessen nachzugehen. Zur konkreten Untersuchung dieses Spannungsfeldes sei Frankreich ein besonders gutes Beispiel: Trotz ihres ausgeprägten, historisch gewachsenen nationalen Selbstbewusstseins habe die „grande nation“ nach 1945 aufgrund ihrer inneren und äußeren Schwäche die Notwendigkeit einer internationalen Kooperation einsehen müssen. Allerdings bestanden in den politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Eliten des Landes immer starke antiamerikanische Ressentiments. Gleichwohl habe sich auch Frankreich nach dem Zweiten Weltkrieg in punkto Konsum, Moden und Lebensstilen „amerikanisiert“. Allerdings könne man ergänzend, und teilweise auch in Konkurrenz hierzu, von einer „Europäisierung“ sprechen – der operativen Politik ebenso wie vieler gesellschaftlicher Lebensbereiche. Dass diese „Europäisierung“ allerdings in Frankreich, wie auch in anderen EU-Staaten, gerade in den letzten Jahren mit einer starken „Europa-Skepsis“ und wachsenden Vorbehalten gegen den technokratischen Ansatz der europäischen Integration kontrastiere – wobei die EU vor allem für die sozio-ökonomischen Folgen einer globalisierten Wirtschaft haftbar gemacht werde – belege die Aktualität der Fragestellung nach dem Spannungsverhältnis von nationaler Identität und transnationalen Einflüssen.

Die anschließende Vormittagssitzung unter Leitung von Rainer HUDEMANN (Universität des Saarlandes) diente dann der Erörterung von Genese, Ansatz und Tragweite, aber auch Anschlussfähigkeit der aktuellen Forschungskonzepte. Sie begann mit einem Beitrag von Wilfried LOTH (Universität Essen) über „Europäische Identität und europäisches Bewusstsein“: Grundsätzlich, so führte LOTH unter Bezug auf Erkenntnisse der Individualpsychologie aus, sei die Identität eines Individuums oder eines Gemeinwesens weder etwas Abgeschlossenes noch etwas Statisches, sondern das Resultat vergangener Identifizierungsprozesse, die sich je nach Kontext unterschiedlich auswirkten. Weiterhin betonte er, dass Menschen immer gleichzeitig mehreren Gruppen angehören und damit auch problemlos unterschiedliche Identitäten annehmen könnten. Dies gelte auch für die Verbindung von regionaler, nationaler und europäischer Identität, wenngleich fehlende Einsicht in ihre wechselseitige Bedingtheit manchmal zu Orientierungsschwierigkeiten führte. In Anlehnung an Robert Frank plädierte LOTH dafür, die Begriffe „europäische Identität“ und „europäisches Bewusstsein“ zu unterscheiden. Ersterer stehe für das Gefühl der Zugehörigkeit zu einer europäischen Zivilisation, letzteres impliziere hingegen zusätzlich das Wissen um die Notwendigkeit, Europa zu schaffen, also den Kontinent auf Kosten der traditionellen Nationalstaaten zu einen. Allerdings trete die „europäische Konstruktion“ nur in vordergründiger Betrachtung in Konkurrenz zu den Nationalstaaten, tatsächlich eröffne sie gemeinsame Handlungsspielräume gegenüber neuen ökonomischen und politischen Herausforderungen. LOTH resümierte, dass nationale und europäische Identität erfreulicherweise mehr und mehr als komplementär aufgefasst würden. Vor diesem Hintergrund plädierte er dafür, stärker als bisher in der Integrationsgeschichtsschreibung, dem Umstand Rechnung zu tragen, dass nicht die Staaten, sondern die Menschen Europa schafften.

In spannendem Kontrast zur geschichtswissenschaftlichen Perspektive des Vorredners führte Tanja A. BÖRZEL (Freie Universität Berlin) anschließend in die äußerst rege politologische „Europeanization“-Forschung ein. Deren Ausgangspunkt sei die Frage, inwieweit das integrierte Europa, d.h. dessen Institutionen und Verordnungen, die beteiligten Nationalstaaten verändert habe. Aus dieser „Vogelperspektive“, so BÖRZEL, könne verständlich gemacht werden, welche Bedeutung Europa zukomme, und wie weit demnach auch die „Europäisierung“ fortgeschritten sei. Als „Europäisierung“ bezeichnete sie dabei den homogenisierenden Einfluss, den die europäische Bürokratie auf die einzelnen EU-Mitgliedsstaaten sowie auf deren Angehörige ausübe. Dies geschehe durch die nationale Umsetzung europäischen Rechts sowie sonstiger europäischer Normierungen und Regulierungen ebenso wie durch die Internalisierung europäischer Normen und Werte im Zuge eines individuellen oder kollektiven Sozialisationsprozesses. Dabei sei festzustellen, dass sich solche Reaktionen beileibe nicht in allen Staaten gleich stark bemerkbar machten. Zudem führe „Europäisierung“ nicht zur Konvergenz nationaler Identitäten hin zu einer europäischen Identität, sondern diese komme immer in unterschiedlichen nationalen Farben einher. Abschließend und mit Blick auf das Thema des folgenden Vortrags hielt BÖRZEL fest, dass der Unterschied zwischen „Europäisierung“ und „Amerikanisierung“ im wesentlichen in den Mitteln bestehe, die die jeweiligen „Sender“ – EU bzw. USA – zur Durchsetzung der eigenen Interessen wählten und dass der Effekt der „Europäisierung“ auf die EU-Staaten durch die Möglichkeit der rechtlichen Durchsetzung von Verordnungen ungleich höher einzuschätzen sei als der Einfluss der „Amerikanisierung“.

„Amerikanisierung“ – „Westernisierung“ standen dann im Mittelpunkt des Referats von Eckart CONZE (Universität Marburg). Für ihn bezeichnet „Amerikanisierung“ einen Diskurs des 20. Jahrhunderts und ist eine Chiffre für den von den USA ausgehenden Transfer unterschiedlicher ökonomischer, politischer und kultureller Entwicklungen. Dabei würden zumindest in der zeitgenössischen Wahrnehmung oft Prozesse subsumiert, die eher einer allgemeinen „Modernisierung“, denn einem spezifischen amerikanischen Einfluss geschuldet wären. Zudem laufe „Amerikanisisierung“ immer vor einem bestimmten nationalen Hintergrund ab und sei dementsprechend stets von nationalen Faktoren beeinflusst. Dem versuche der jüngere Begriff der „Kreolisierung“ Rechnung zu tragen. Betrachte man den Zeitraum nach 1945, dann umfasse das Konzept, so CONZE unter Bezug auf den Soziologen Heinz Bude, vier Dimensionen: Erstens die Ausrichtung der westlichen Staaten an den USA als politischer Führungsmacht; zweitens die Stilisierung der amerikanischen Gesellschaft zum nachahmenswerten Modell; drittens die Instrumentalisierung von Amerikabildern, wobei die amerikanische Realität hinter Schreckensszenarien wie Wunschvorstellungen bezüglich einer zukünftigen Gesellschaft zurücktrete; viertens die Angleichung von Konsum und Konsumverhalten. „Westernisierung“ – im Gegensatz zu „Amerikanisierung“ ein rein analytisches Konstrukt – umschreibe, so CONZE, hingegen keinen einseitigen Transfer von den USA nach Europa, sondern eine europäisch-atlantische Annäherung im Zuge eines interkulturellen Austausches, woraus die Bildung einer gemeinsamen Werteordnung resultiere. Dieser Transfer wurde nach dem Zweiten Weltkrieg stark von den USA beeinflusst, was zur Überschneidung der Konzepte „Westernisierung“ und „Amerikanisierung“ führe, jedoch nicht zur Kongruenz. Abschließend plädierte CONZE dafür, das bisher vor allem auf Westdeutschland angewandte „Westernisierungs“-Konzept auch auf andere westeuropäische Gesellschaften nach 1945 zu übertragen.

Niels P. PETERSSON (Universität Konstanz) rundete die kritische Musterung unterschiedlicher Konzepte zur Erfassung transnationaler Prozesse mit seiner Vorstellung des „Globalisierungs“-Ansatzes ab: Der Begriff „Globalisierung“ könne, so PETERSSON, hauptsächlich durch drei Merkmale charakterisiert werden – durch die Tradition der seit der Frühen Neuzeit bestehenden globalen Interdependenzen; als Beschreibung der Prozesshaftigkeit von Verhältnissen, die in stetem Wandel begriffen seien; als Sammelbegriff für unterschiedliche Einzelprozesse. Auch plädierte er in Anlehnung an ethnologische und soziologische Methoden dafür, sich der „Globalisierung“ als einem Phänomen „von unten“ zu nähern: Es sollten nicht das Ganze dieses Prozesses, sondern die verschiedenen Netzwerke der einzelnen Transaktionen und internationalen Beziehungen in ihrer Prozesshaftigkeit betrachtet werden. Ebenfalls seien „Globalisierung“ einerseits, „Amerikanisierung“, aber auch „Europäisierung“ andererseits weder deckungsgleiche noch konkurrierende Konzepte: „Globalisierung“ beziehe sich auf die Dichte und Reichweite sozialer Beziehungen, nicht aber auf deren Inhalte. Dementsprechend könne beispielsweise „Amerikanisierung“ in einem bestimmten Zeitraum durchaus ein Merkmal von Globalisierungsprozessen sein. Im Hinblick auf das Verhältnis von „Globalisierung“ und „Europäisierung“ sei überdies zu bedenken, so PETERSSON abschließend, dass das, was heute als von außen aufgezwungene – wirtschaftsliberale – Globalisierung wahrgenommen werde, tatsächlich oft von den nationalen Regierungen direkt oder über den Umweg „Brüssel“ ins Werk gesetzte europäische Wettbewerbspolitik sei.

Nach den methodisch-theoretischen Erörterungen stand der Nachmittag unter der Leitung von Jean-Paul CAHN (Université Paris IV) im Zeichen empirischer Untersuchungen einzelner Sektoren französischer Politik und Gesellschaft. Den Auftakt bildete eine Analyse der französischen Diplomatie von Georges-Henri SOUTOU (Université Paris IV): Nach dem Zweiten Weltkrieg habe Frankreich versucht, an seine traditionelle internationale Rolle als klassische europäische Groß- sowie Kolonialmacht anzuknüpfen. Dennoch habe sich die französische Außenpolitik durch die Herausbildung der Blockbildung und des „Kalten Krieges“ sowie die damit notwendige innerwestliche Abstimmung langsam institutionell wie substantiell multilateralisiert und damit tendenziell auch „amerikanisiert“ und „europäisiert“. Allerdings habe die internationale Zusammenarbeit in der Regel vorrangig hergebrachten nationalen Interessen gedient. Von einer echten Modernisierung der französischen Diplomatie lasse sich erst in der Zeit der Präsidentschaft Georges Pompidous sprechen: Pompidou habe mehr als andere die Tendenz zur „Globalisierung“ der Diplomatie erkannt und mit der „Frankophonie“ einen Kontrapunkt zur bipolaren Blockpolitik zu setzen versucht. Unter Valéry Giscard d’Estaing verstärkten sich diese globale Ausrichtung des Landes ebenso wie seine Mitarbeit im Rahmen der westeuropäischen Integration. Diese Tendenzen setzten sich unter Francois Mitterrand fort, der zusätzlich eine stärkere Kooperation mit den Entwicklungsländern anstrebte. Der Fall der Berliner Mauer und der Zusammenbruch des Ostblocks habe das Koordinatensystem der französischen Außenpolitik dann tief greifend verändert. Diese Entwicklung werde durch die beschleunigte Globalisierung noch verstärkt. Nach der Ablehnung des EU-Verfassungsvertrages könne, so SOUTOU in einem Ausblick, nur die Zukunft erweisen, ob die französische Diplomatie weiterhin versucht sei, das Modell des klassischen souveränen Nationalstaats zu „recyceln“, oder ob sie sich nun endgültig einer multilateralen europäischen Konzeption öffne.

Gibt es noch eine spezifisch französische Identität im Bereich der Wirtschaft? Diese Frage stellte sich Jean-François ECK (Université Lille III) in seinem Vortrag. Eine Antwort hierauf suchte er in einer Analyse von Akteuren, Strukturen und Leistungen der französischen Wirtschaft. Seine Bilanz: Die Akteure in Form privater Unternehmen seien in immer stärkerem Maße entscheidend und agierten gleichzeitig zunehmend international, der Trend zu Modernisierung – teilweise nach amerikanischem Vorbild – und – globalem – Wettbewerb habe sich auch in Frankreich durchgesetzt, und die Absprachen sowie staatlichen Regulierungen vergangener Jahrzehnte seien – nicht zuletzt unter dem Einfluss europäischer Institutionen – verschwunden. Strukturell habe sich das Verhältnis der drei großen Wirtschaftsbereiche (Landwirtschaft, Dienstleistung und Industrie) in Frankreich verschoben: Sei früher noch die Landwirtschaft der entscheidende Wirtschaftsfaktor gewesen, so nehme diesen Platz heute der Dienstleistungssektor ein. Was die Leistung angehe, d.h. Wachstum, Effizienz und globale Präsenz der französischen Wirtschaft, so sei zu konstatieren, dass seit 1974 auch Frankreich nicht mehr von den europäischen und weltweiten Wirtschaftszyklen einschließlich tiefer Krisen ausgenommen sei. Zusammenfassend konstatierte ECK, dass das französische Wirtschaftssystem nach 1945 durchaus starke Tendenzen zu „Amerikanisierung“, „Europäisierung“ und „Globalisierung“ auf Kosten eines spezifisch „französischen Modells“ aufweise. Diese Transnationalisierung habe jedoch, so ECK mit Blick auf aktuelle ökonomische Krisendiskurse, für Frankreich durchaus auch positive Folgen.

Die eigene Armee galt über Jahrhunderte als Inbegriff nationaler Souveränität. Nach 1945 zwangen indes die west-östliche Blockbildung unter Führung zweier neuer Supermächte – den USA und der Sowjetunion – und die Bedrohungen des Kalten Krieges gerade in diesem Bereich zu transnationaler Kooperation und wachsender Integration. Wie sich das französische Militär angesichts solcher Zwänge verhielt, untersuchte Beatrice HEUSER (Universität der Bundeswehr München). Tatsächlich war die Einstellung zu Europa, den USA sowie der NATO hier stets geprägt von einer Ambivalenz zwischen Misstrauen und Bewunderung, Rivalität und Zusammenarbeit. So spüre man einerseits noch heute den im Hundertjährigen Krieg entstandenen Argwohn gegenüber den Briten. Andererseits habe sich die französische Armee immer wieder an der erfolgreichen britischen Militärmacht orientiert. Auch zu den USA bestehe eine „Hass-Liebe“. Auf der einen Seite hege man tiefe Ressentiments gegen sie: Aus französischer Perspektive seien sie im Ersten wie im Zweiten Weltkrieg stets zu spät zur Rettung Frankreichs gekommen – was ein Grund für die Entwicklung unabhängiger französischer Kernwaffen gewesen sei –, auch wären sie in Indochina unmittelbare Profiteure der französischen Dekolonisation geworden, und während des Kalten Krieges praktizierten sie aus französischer Perspektive eine zu aggressive Sicherheitspolitik. Auf der anderen Seite gab es immer auch positive historische Erinnerungen noch aus der Zeit des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges und nach 1945 ebenso Bewunderung für die Leistungsfähigkeit und Modernität der amerikanischen Militärmaschinerie. Letztlich habe jedoch, so HEUSER, der starke amerikanische Einfluss in der NATO den Ausstieg Frankreichs aus der militärischen Integration des Bündnisses herbeigeführt. Aber auch die europäische Verteidigungskooperation habe oft nur dem nationalegoistischen Versuch gedient, teure französisch initiierte Waffensysteme gemeinsam zu finanzieren.

Pascal ORY (Université Paris I) referierte anschließend über die „Amerikanisierung“ im Bereich der Kultur. Schon ab der Mitte des 19. Jahrhunderts sei das Wort „Amerikanisierung“ in Frankreich abwertend im Zusammenhang mit Modernität angewendet worden. In der Zwischenkriegszeit des 20. Jahrhunderts aber habe es das Trio von Kino, Jazz und Comics vermocht, auch den europäischen Kultur- und Wirtschaftsraum zu erobern. Nach dem Zweiten Weltkrieg hätten sich diese Phänomene weiterentwickelt und festgesetzt: Nun hielten beispielsweise auch die Rockmusik, das Fernsehen und die Science-fiction ihren Siegeszug. Mit Hilfe des technischen, wirtschaftlichen und politischen Einflusses der USA entstand eine Massenkultur, die heute allgemein das Alltagsleben präge und in der Amerika nach wie vor die entscheidende Referenzgröße darstelle. Insofern sei die „Amerikanisierung“ Frankreichs kein Mythos. Allerdings gäbe es Nischen, wie die französische Sprachkultur, die sich dem teilweise verschlössen, sowie individuelle oder kollektive Bestrebungen, gewisse Bereiche, wie den der Comics, zu „ent-amerikanisieren“. Dabei dürfe man allerdings nicht vergessen, dass Akkulturation nicht erst ein Phänomen des 20. Jahrhunderts, sondern bereits seit der Antike sei, und dass sie immer auch positive Auswirkungen habe.

„Amerikanisierung“, so lautete denn auch die These des Schlussreferats von Robert FRANK (Université Paris I), sei ein kulturelles Phänomen, das sich auf gesellschaftlicher Ebene durchgesetzt habe: Der massive Transfer soziokultureller Praktiken und die Einführung amerikanischer Produkte – Fernsehen, Kühlschrank, Auto oder Waschmaschine – habe die französische Gesellschaft seit den 1960er Jahren stark verändert. Allerdings warf FRANK die Frage auf, ob dieser Wandel nun als spezifische „Amerikanisierung“ oder als generelle „Modernisierung“ zu bezeichnen sei bzw. in welcher Beziehung beide Phänomene zueinander stünden. Die „Amerikanisierung“ sei in der französischen Gesellschaft stets ambivalent betrachtet worden: Einerseits öffnete sich das Land vor allem aus wirtschaftlichen Gründen, andererseits empfand man dies als latente oder sogar manifeste Bedrohung der eigenen Identität. Deshalb sei die „Europäisierung“ immer als ein wichtiges Zwischenglied zwischen nationaler und transnationaler Ausrichtung betrachtet worden – eine Funktion, die allerdings mittlerweile verloren gegangen sei, wie das französische „Nein“ zum EU-Verfassungsvertrag belege. Die Franzosen fänden sich, so das pessimistische Fazit von FRANK, in der EU nicht mehr wieder.

Die Tagung lieferte wichtige Erkenntnisse für die zeitgeschichtliche Transferforschung. Hierzu gehört die Einsicht in die notwendige Kombination unterschiedlicher Transnationalisierungskonzepte ebenso wie die Erkenntnis, dass „Amerikanisierung“, „Europäisierung“ und „Globalisierung“ nicht teleologisch, sondern gerade in ihrem – jeweils geographisch und sektoral variierenden – Spannungsverhältnis zueinander sowie in Konkurrenz zu hergebrachten nationalen Identitäten gesehen werden müssen. Voraussetzung hierfür wäre ein noch stärkerer innerfachlicher und interdisziplinärer Austausch zwischen den hieran interessierten Spezialisten. Die Beiträge und Ergebnisse der Konferenz werden in einem Tagungsband publiziert, der hierzu beitragen soll.


Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Klassifikation
Epoche(n)
Region(en)
Weitere Informationen
Land Veranstaltung
Sprache(n) der Konferenz
Deutsch
Sprache des Berichts